Vor fünfeinhalb Jahren schenkten Sie mir 2 junge Zweinutzungshühner, die ich mit den 4 Hühnern meiner Nachbarin vergesellschaftete. Die Hühner der Nachbarin sind längst andere, aber meinen beiden Hühnern geht es noch gut. Jede legt noch 1-2 Eier pro Woche. Die Hühner leben auf einem ca. 3000 qm großen Grundstück am Rand eines Tümpels, mit Wiese, Bäumen und einigen dichten Büschen, wo sie sich auch mal verstecken können. Bei Ankunft tauften meine beiden Enkelinnen die Hühner. Nun wären sie in ihrem Besitz und dürfen nie geschlachtet werden meinten sie. Das wird auch nie passieren.
Das weiße Huhn ist die Emilie Rose. Ein zutrauliches, gemütliches Huhn. Außer, dass sie in jungen Jahren eine hervorragende Legerin war, gibt es nicht viel über sie zu berichten.
Ganz anders ist es mit Elia, der braunen Sulmtalerin. Ihre Geschichte ist lang und teilweise aufregend und arbeitsintensiv. Ich glaube sie weiß das. Wenn ich den Auslauf betrete kommt sie mit einer Mischung von fliegen und rennen auf mich zugestürmt und begrüßt mich wirklich herzlich. Das war am Anfang nicht so.
Nun zu Ihrer Geschichte: Elia war ein sehr nervöses, ängstliches Huhn welches von den anderen Hühnern dementsprechend gemobbt wurde. Sie verkroch sich meist alleine unter einem Busch. Als es in ihrem ersten Sommer sehr heiß war, wollte sie auch dort übernachten. Das bekam ihr leider nicht gut. An einem Morgen gegen 4 Uhr hörte meine Nachbarin lautes Geschrei. Von ihrer Terrasse aus sah sie, wie ein Fuchs mit Elia im Maul davonlief. Lautes Schreien und Klatschen brachten Ihn dazu, Elia vor dem Sprung über den Hühnerzaun fallen zu lassen. Wir untersuchten Elia und sie war, wie durch ein Wunder, unverletzt geblieben. Von diesem Tag an hat Elia schön brav im verschlossenen Stall übernachtet.
Sie war aber immer noch eine scheue Eigenbrötlerin.
Ende September desselben Jahres das nächste Ereignis. Ein Habicht hatte die Hühnerschaar entdeckt. Alle konnten sich unter Büsche retten, nur Elia war wohl etwas zu langsam. Ich hörte Geschrei. Wegen der vielen Bäume und Büsche konnte der Habicht aber nicht herunterstechen, wie es seine Art ist. Er griff Elia seitlich an, bekam sie nicht zu fassen, schlitzte ihr aber die Brust auf. Als er mich sah flog er weg. Die Wunde sah nicht gut aus, unsere Nachbarin gab ihr wenig Chancen. Elia ließ sich, wohl im Schock, bereitwillig fangen. Wir säuberten und desinfizierten die Wunde. An den Rändern brachten wir Heilsalbe auf, verbinden war an der Brust ja nicht möglich. Wir verarzteten die Wunde jeden Tag und welch ein Wunder, sie begann zu heilen und nach 2 Wochen hatte sie sich geschlossen. Nach weiteren 4 Wochen waren die Federn nachgewachsen. In dieser Zeit passierte auch etwas Eigenartiges. Sie wurde nicht mehr gemobbt, sondern war in die Gruppe integriert, zwar nicht sehr ranghoch, aber immerhin.
Doch plötzlich, Ende Oktober, immer noch in ihrem ersten Lebensjahr, sonderte sie sich wieder ab, saß aufgepludert unter Büschen und fraß kaum. Als Ursache entdeckte ich ein geschwollenes linkes Beinchen. Also fuhr ich mit ihr in die Vogelklinik nach Unterschleißheim.
Diagnostiziert wurde ein Sohlenballengeschwür. Sie blieb 4 Wochen in der Klinik. Angeblich musste eine Drainage gelegt werden, dann wurde die Wunde vernäht und erst nach Abheilung konnte ich sie wieder holen. Fragen Sie mich bitte nicht nach Höhe der Rechnung. Nach ihrer Rückkehr geschah Unerwartetes. In der Literatur heißt es, wenn ein Huhn so lange weg ist muss es sich ganz unten wieder einordnen. Stimmte aber nicht. Die Hühner bildeten einen Kreis um Elia und haben sie begrüßt. Ich dachte nun sei alles gut. Leider nein! Im darauffolgenden Frühjahr, Elia war gerade in Jahr alt, schwoll das Beinchen wieder an. Anruf in der Vogelklinik, ich sollte sie wieder vorbeibringen. Gleiche Prozedur und gleiche Rechnung. Nach weiteren 4 Wochen ab der erneuten Rückkehr, war das Beinchen wieder geschwollen. Auf meinen erneuten Anruf in der Vogelklinik meinte man, jetzt hilft nur noch keulen. Gott sei Dank fand ich eine sehr kompetente, erfahrene und emphatische Vogeltierärztin, Frau Dr. Doris Quinten (leider hat sie letztes Jahr ihre Praxis aus Altergründen aufgegeben).
Sie sah sich Elia an und meinte, so ein hübsches nettes Tier keult man nicht. Ob ich bereit wäre viel Zeit in Elia zu investieren. Als ich bejahte, wurde das Beinchen mit einer Salbe eingeschmiert. Dann zeigte sie mir wie man die Sohle mit Watte ab polstert und das Bein mit einem Tapeverband verbindet. Je nach Witterung musste der Verband wöchentlich, bei Nässe 2x die Woche gewechselt werden. Meine Frau oder die Nachbarin verbanden Elia, ich fing sie ein und hielt sie. Elia gewöhnte sich schnell ans Verbinden. Zum einen wohl, weil es ihr guttat. Andererseits bekam sie beim Verbinden immer Leckerlis wie salzlos gekochten Reis, Nudeln oder Brot. Doch mit dem Verbinden war es nicht getan. Frau Quinten meinte die schmalen, eckigen Sitzstangen im Stall müssten raus und durch breite, halbrunde Sitzstangen ersetzt werden. Die Nachbarin war so nett und nahm den Umbau vor. Die Ratschläge von Frau Quinten kosteten einen sehr kleinen Bruchteil der 600 €, die ich in der, für mich inkompetenten, Vogelklinik gelassen hatte. Nach einem halben Jahr konnten wir das Verbinden einstellen.
Leider trat das Geschwür nach einiger Zeit nochmals auf. Wieder 3 Monate Beinchen einschmieren und verbinden. Seit zwei Jahren ist Elia nun, trotz ihres hohen Hühneralters gesund und munter. Was sich total verändert hat ist ihr Wesen.
Sie ist jetzt die anerkannte Chefin am Hühnerhof. Aber nicht so wie ihre Vorgängerinnen in dieser Rolle. Sie pickt nicht nach den anderen Hühnern. Da es keinen Hahn gibt, sieht es so aus als habe sie diese Rolle übernommen. Wenn sie beim Scharren etwas besonders Leckeres findet, lockt sie die anderen heran und lässt sie teilhaben. Ein kleines Seidenhuhn der Nachbarin hat sie besonders unter ihre Fittiche genommen (Anhang 3) und beschützt die Kleine vor Angriffen der Anderen.
Wie eingangs gesagt, ist die Freude groß, wenn ich komme.
Selbst wenn ich von manchen Leuten im Freundes- und Bekanntenkreis belächelt werde, ich habe die Investition in Elia nicht bereut und hoffe, dass es ihr noch lange gut geht.
Über Hühner, ihr Verhalten, ihren Charakter, ihre Seelen, habe ich unendlich viel gelernt.
Mit herzlichen Grüßen
Rainer Förderreuther